International Blog – Florian Heer
Sobald der letzte Ballwechsel bei den US Open gespielt ist, kehrt eine gewisse Normalität in Sachen Tenniskonsum ein und die Saison wirkt ein wenig fast wie vorbei. Dies mag die Gefühlslage vielleicht vieler Fans in Europa und Amerika widerspiegeln, wenn der internationale Tenniszirkus Richtung Asien weiter wandert und damit auch vom Berichterstattungsradar vieler hiesiger Medien weitestgehend verschwindet.
Die Profis begeben sich nach Tokio, Chengdu, Shenzhen, Tashkent, Peking, Tianjin, Hong Kong oder Shanghai. Die Damen verbleiben sogar noch weitere Wochen im flächenmäßig größten Erdteil, um den Saisonabschluss mit den WTA Finals in Singapur und der „B-WM“ WTA Elite Trophy in Zhuhai gebührend zu feiern.
Die Herren kehren aber wieder zum zweiten Teil der Hallensaison auf den alten Kontinent zurück. Die ATP greift dabei auf dramaturgische Kenntnisse zurück, um den von Mitte Oktober bis Ende November statt findenden Events einen attraktiven Spannungsbogen zu verleihen. So beginnt das Herbstspektakel mit den ATP-250-Turnieren in Stockholm, Antwerpen und Moskau. Pablo Carreno Busta, David Goffin und Grigor Dimitrov hießen hierbei die Top-gesetzten Spieler. Ohne Frage sind alle drei herausragende Spieler, aber die größten Stars der Szene greifen erst frühestens eine Woche später wieder ins Geschehen ein, zumindest sofern sie für den finalen Saisonverlauf noch fit genug sind. Andy Murray, Stan Wawrinka und Novak Djokovic lassen an dieser Stelle aus dem Urlaub grüßen.
Federer und Thiem als Zuschauermagneten
Für die restlichen Tennisritter heißen dann Wien und Basel die Stationen der ATP-500-Serie. Letztere profitiert von dem wohl größten Zugpferd des Sports, wenn Roger Federer bei den Swiss Indoors aufschlägt. Der 19-malige Grand-Slam-Sieger hat in diesem Jahr seinen achten Titel bei seinem Heimturnier errungen. Auch Rafael Nadal haben die Veranstalter für ihr Event in den letzten vier Jahren zumindest zwei Mal gewinnen können.
In Wien, neben Basel, Hamburg und Halle das größte ATP-Turnier im deutschsprachigen Raum, muss man somit einen anderen Weg verfolgen. Mit Dominic Thiem verfügen die glücklichen Veranstalter zurzeit über einen Local Hero par excellence. Die begeisterungsfähigen Österreicher lieben ihren „Domi“ und strömen alljährlich in die Stadthalle seit die heutige Nummer 6 der Welt im Jahre 2011 – damals mit einer Wild Card ausgestattet – den einstiegen Tenniskönig Thomas Muster in der ersten Runde des Hauptfeldes besiegte. Mehr als das Viertelfinale ist für Thiem aber bisher noch nie herausgesprungen. Auch in diesem Jahr war in der Runde der letzten 8 Schluss. Dies kann sich jedoch vielleicht als Glücksfall erweisen, als somit ein Erfolg für den erst 24-jährigen Niederösterreicher noch als eines in der Zukunft zu erreichendes Ziel darstellt. Eine Rückkehr Thiems in die Landeshauptstadt ist somit sehr wahrscheinlich. Ebenso wie eine ausverkaufte Arena.
Zum ersten Mal in der 43-jährigen Geschichte des Turniers wurde die Marke von 60.000 Zuschauern geknackt. „Realistisch wird nächstes Jahr Andy Murray wieder spielen“, ließ Turnierdirektor Herwig Straka am Finalsonntag verlauten. Gespräche mit Nadal und Zverev sind außerdem im weiteren Saisonverlauf geplant. Im Falle des deutschen Youngsters gilt es hierbei jedoch dessen „rigoroses Management“, wie Straka es nennt, zu überzeugen.
„Wir wollen aber auch neue Spielernamen bieten: Kei Nishikori wollen wir wieder einladen, nachdem es heuer verletzungsbedingt nicht geklappt hat“, lässt der Wien-Macher in die Zukunft blicken.
Anfang November findet mit dem Turnier in Paris-Bercy dann auch die ATP-Masters-1000-Series ein Ende. Des Öfteren haben die Top-Stars der Szene diese Woche in der Vergangenheit genutzt, um sich auf das eigentliche Saisonfinale in London vorzubereiten. Eine seitens der ATP verordnete einwöchige Pause zwischen den beiden Events in den europäischen Metropolen sollte dafür Sorge tragen, dass Nadal, Djokovic & Co genug Zeit zur Regeneration finden.
Experimentierfeld Next Gen ATP Finals
In diese Lücke prescht in diesem Jahr mit den Next Gen ATP-Finals eine Premierenveranstaltung für die acht besten U21-Spieler der Saison. Das Turnier, versehen mit vielfachen Regeländerungen, wird versuchen die Fans in Mailand zu überzeugen. Der Erfolg bleibt abzuwarten. Der beste Spieler dieser „nächsten Generation“, Alexander Zverev, hat bereits seine Teilnahme mit Blick auf eine bessere Vorbereitung auf die Nitto ATP Finals bereits abgesagt. Fairerweise muss man konstatieren, dass man beim Launch der Veranstaltung am Ende der letzten Saison nicht zwangsläufig mit der Konstellation rechnen musste, dass einer der Jungstars auch noch zusätzlich ein Ticket für die O2-Arena in London lösen wird.
Andrey Rublev, Karen Khachanov, Denis Shapovalov, Borna Coric, Jared Donaldson, Hyeon Chung, Daniil Medvedev, sowie ein noch zu ermittelnder italienischer Vertreter heißen nun die Protagonisten, die die Show auf dem Mailänder Messegelände rocken müssen. Die ATP selber hat auf jeden Fall ihr Bestes gegeben, um die „NextGens“ – versehen mit Hashtags, Fettdrucken und ähnlichem – über das gesamte Jahr hinweg intensiv über ihre verschiedenen Kanäle zu promoten.
London als Klimax
Zum Abschluss heißt es dann „London Calling“. Die besten 8 Spieler treffen sich vom 12. bis 19. November in der britischen Hauptstadt zum finalen Showdown. Bis auf die bereits erwähnten verletzungsbedingten Ausfälle werden sie auch in der O2-Arena aufschlagen. David Goffin, Pablo Carreno Busta, Sam Querrey, Kevin Anderson, Juan Martin del Potro und Jo-Wilfried Tsonga sind hierfür noch in der Verlosung für die letzten beiden Startplätze. Zwei von ihnen werden die Teilnehmerliste mit Rafael Nadal, Roger Federer, Alexander Zverev, Dominic Thiem, Marin Cilic und Grigor Dimitrov komplettieren.
Solange die Nitto ATP-Finals auf der Britischen Insel ausgetragen werden, werden auch die in den Vorwochen stattfindenden anderen europäischen Turniere davon profitieren. Eine etwaige Abwanderung des Saisonfinals, zum Beispiel in Richtung Asien wie bei den Damen, könnte zu Konflikten im Terminkalender vieler männlicher Tenniscracks führen. Dies wäre allerdings erst frühestens 2021 der Fall. Für die nächsten vier Veranstaltungen ist der Verbleib in London vertraglich gesichert.