Michael Berrer: “Die mutigste Entscheidung war es, auf Rasen zu gehen”

Michael Berrer (photo: Florian Heer)

International Blog – Florian Heer

Die Rasensaison hat mit den BOSS Open in Stuttgart an Fahrt aufgenommen. Einer, der das ATP-250-Event in der schwäbischen Metropole wie seine Westentasche kennt, ist der gebürtige Stuttgarter Michael Berrer.

Im Jahr 2008, damals noch auf Asche, erreichte die ehemalige Nummer 42 der Welt hier das Viertelfinale. Heute ist Berrer Turnierbotschafter. Wir trafen ihn am Viertelfinalfreitag zum Interview.

Tennis TourTalk: Stuttgart. Weissenhof. Was sind die ersten beiden Dinge, die dir zum Turnier einfallen?

Michael Berrer: Zu Stuttgart fällt mir natürlich viel ein. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an das Turnier als Spieler und ich denke es hat sich inzwischen zu einem der schönsten ATP-250-Events auf der Tour entwickelt. Ich freue mich dieses Turnier als Botschafter mitrepräsentieren zu dürfen. Das ist eine sehr schöne Sache.

Es gibt inzwischen einige Turnierbotschafter, auch bei anderen Events in Deutschland. Was sind deine Aufgaben am Weissenhof?

Diese sind tatsächlich sehr vielfältig. Im Vorfeld fungiere ich als Bindeglied für das Turnier und deren Sponsoren sowie der Presse. Tommy Haas ist hier ebenfalls als Turnierbotschafter am Start, was eine super Kombination ist. Wir haben schon gescherzt: er ist „international“ – ich bin „local“. Klar, Tommy ist in der Tenniswelt noch eine andere Hausnummer als Tournament Director von Indian Wells. Ansonsten bin ich während der Woche auch für die Spieler da. Durch meine Beratungstätigkeit bei der ATP habe ich auch über das Jahr hinweg noch engen Kontakt zu den Akteuren. Den Spielern werden hier mehrere Services angeboten. So können sie beispielsweise Porsche Turbos fahren und Tycans testen. Das ist sonst auch nicht jede Woche möglich und wird sehr gut angenommen. Ich weiß von einigen Spielern, dass sie sich ein solches Fahrzeug dann gekauft haben. Das ist auch eine tolle Botschaft für die Mitarbeiter des Unternehmens. Zudem besteht die Möglichkeit in Verbindung mit unserem Hauptsponsor zu besseren Konditionen einzukaufen. Außerdem darf ich die Gäste auf der Anlange mitbetreuen und die ein oder andere Frage beantworten. Auch die Spieler haben Ansprüche, wenn es beispielweise um Trainingszeiten auf Rasen geht. Der eine oder andere merkt beispielsweise an, dass in der Dusche die Seife ausgegangen ist. (lacht) Man hat viel zu tun und es ist wichtig immer ein offenes Ohr zu haben. Insgesamt macht es sehr viel Spaß.

Das Turnier hat einige Veränderungen in den letzten Jahren vollzogen. Der Veranstalter ist allerdings eine Konstante. Wie siehst du die Entwicklung am Weissenhof?

Die mutigste Entscheidung, die ich im Tennis gesehen habe, war es auf Rasen zu gegen. Es war allerdings auch die Beste. Man hat gemerkt, dass die Veranstalter eine Vision haben. Sportevents sind agil und man benötigt eine gewisse Flexibilität, da jederzeit etwas geschehen kann, was nicht vorhersehbar ist. Das wird hier sehr gut gemeistert und da habe ich höchsten Respekt vor. Man darf dabei nicht vergesse, dass e-Motion drei Turniere hintereinander veranstaltet und die Leute am Anschlag laufen. Das ist auch Höchstleistungssport für das gesamte Team.

Wie sehr schmerzt die Absage von Alexander Zverev?

Das ist immer ein Risiko. Es tut weh. Es ist zwei Jahre hintereinander passiert, aber man muss sich auch in den Spieler hineinversetzen. Wir alle haben gesehen, was er in Paris geleistet hat und das beide Finalisten platt waren. Da kann man ihm die Absage nicht übelnehmen. Wir hoffen auf seine Beteiligung im nächsten Jahr. Nichtsdestotrotz haben wir tolle Spieler am Start und konnten von der ersten Runde an traumhafte Matches sehen. Die Leute haben dies auch sehr gut angenommen. Die Anlage war durchweg gut besucht.

Du warst selbst ein Spieler, der gerne auf schnellen Belägen gespielt hat. Wie beurteilst du die Entwicklung auf Rasen in den letzten Jahren?

Es verlangsamt sich immer mehr. Selbst als ich noch aktiv war, konnte man kaum mehr Serve-and-Volley spielen. Die Bälle werden weicher und die Rasenmischung hat sich verändert. Das Ganze ist dann zudem wetterabhängig. Die Athletik der Spieler wird besser. Das Match zwischen Musetti und Köpfer war eines der intensivsten Rasenmatches, die ich je erlebt habe. Beide haben extrem raffiniert agiert. Wir werden immer mehr lange Matches sehen. Das ist spannend.

Du hast einen Master in Sportpsychologie und arbeitest als Mental-Coach. Welche Komponenten sind hier besonders wichtig?

Das ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Es geht hierbei nicht nur um das, was sich auf dem Platz abspielt, sondern auch darum, was neben dem Court geschieht. Auch ich war in diesem Strom gefangen. Die Spieler machen sich sehr viel Druck. Die Frage ist, worauf das basiert. Ein Kollege hat dies einmal prägnant zusammengefasst. Menschen sind meist von vier Emotionen gesteuert: Wut, Freude, Traurigkeit und Angst. Tennisspieler sind öfter wütend und haben häufig wenig Freude. Aber gerade über die letzten beide Dinge redet kein Mensch. Nicht bei den Unternehmen, wo ich tätig bin, noch auf der Tennis-Tour. Dabei handelt es sich hierbei nicht nur um negative Dinge. Wenn ich Angst habe, habe ich Stress und bin nervös vor dem Match. Dies ist kein schönes Gefühl und ich kann diesen Sport keine zehn Jahre ausüben. Allerdings wird sich damit kaum auseinandergesetzt und selbst Top-10 Spieler haben keine Werkzeuge. Ich musste beispielsweise vor meinen Matches eine Meditation machen, denn es gibt wahrscheinlich keinen Sportler, der so angespannt vor einer Partie ist, wie ich. Das gilt heute noch, wenn ich in der Verbandsliga aufschlage (lacht). Das war auch der Ausgangspunkt, warum ich mich für dieses Studium entschieden habe. Ich benötigte eine Lösung, da ich Tennis liebe. Meine Masterarbeit hatte das Thema „Angst vor dem Gewinnen“. Ein Phänomen, von dem ich dachte, dass es gar nicht existiert. Allerdings erhöhen sich die Erwartungen nach einem Sieg. Gerade in Frankreich ist dies unter den Spielern häufig zu beobachten, da sie in ihrem Land und dem Grand-Slam- Turnier in Paris einen großen Druck verspüren. Dazu kommen Versagens- und Zukunftsängste. Da versuchen wir in Verbindung mit der ATP den Spielern auch zu helfen.

Wieso haben Tennisspieler wenig Freude?

Das kann ich mir nicht erklären. Für den badischen Tennisverband bin ich bei internationalen Jugendturnieren gewesen und habe an den Tagen vor Ort keinen Spieler Lachen sehen. Ich war vielleicht selbst nicht der beste Spieler, würde aber behaupten zumindest Spaß auf dem Platz vermitteln zu können.

Hier in Stuttgart tritt mit Alexander Bublik auch ein Profi an, der offen angibt, Tennis lediglich als Beruf zu sehen.

Das akzeptiere und respektiere ich. Er ist allerdings auch ein Typ, der auf dem Platz auch eine gewisse Unterhaltung bietet. Ich kann von einem Spieler nicht immer die beste Leistung erwarten, jedoch, dass er eine Körpersprache an den Tag legt, die die Leute mitreißt. Dafür zahlen die Zuschauer schließlich 100 Euro für ein Ticket.

Welchen Spielern schaust du heute gerne zu?

Ich schaue selten gesamte Matches, mag aber auch keine Beschränkung auf Highlights. Tennis ist kein Shotmaking, sondern Prozenttennis. Du gewinnst kein Match, wenn du viele Winner schlägst, aber weniger Fehler machst und dabei aggressiv bist. Jan-Lennard Struff schaue ich regelmäßig zu. Auch Carlos Alcaraz und Holger Rune verfolge ich sehr gerne. Natürlich schaue ich auch Sascha Zverev. Außerdem verfolge ich gerne richtige Typen, die nicht unbedingt vorne in der Rangliste zu finden sind. Ich muss natürlich arbeiten, aber Tennis TV läuft bei mir schon häufig.

Bist du noch regelmäßig selbst aktiv?

Ich trete in diesem Jahr noch einmal in der 2. Bundesliga für Reutlingen an. Als 44-jähriger wird das eine gewisse Herausforderung. Ich bin noch amtierender Weltmeister bei den Herren über 30. Ich versuche viel zu spielen, muss allerdings beruflich auch etwas runterfahren. Tennis ist und bleibt aber der tollste Sport.

Letzte Woche hat in Heilbronn zum 10. Mal der Neckarcup stattgefunden. Du kennst vor allem das Vorgängerturnier in Talheim sehr gut. Drei Challenger-Titel konntest du dort erringen. Was verbindest du noch mit diesem Event?

Talheim war der Startschuss für meine Karriere, auch um Selbstsicherheit zu bekommen. Da habe ich einige gute Spieler geschlagen.

Unter anderem zum Beispiel einen Jan-Lennard Struff im Finale von 2013 ….

Den habe ich damals ganz schön runtergelassen. (lacht) Talheim war mein Lieblingsturnier und war für die gesamte Region ein tolles Event. Ich habe aber auch guten Kontakt zu den Organisatoren vom Neckarcup und höre nur gutes von diesem Turnier. Sie haben mehrfach den Challenger-Award gewonnen und machen einen grandiosen Job.

Redest du heute noch mit Jan-Lennard über diese Partie?

Klar gibt es da noch den ein oder anderen Austausch. Wir verstehen uns sehr gut. Er ist auch ein toller Mensch.

Vielen Dank für das Gespräch.