International Blog – Florian Heer
Benjamin Hassan hat in der vergangenen Woche für Schlagzeilen in der Tenniswelt gesorgt. Nach sage und schreibe 12 abgewehrten Matchbällen konnte die Nummer 315 der Weltrangliste in der ersten Runde des ATP-Challengers in Banja Luka den Österreicher Lucas Miedler noch in drei Sätzen bezwingen. Ein Eintrag in die Rekordbücher wird ihm damit gewiss sein.
Hassan wurde als Sohn libanesischer Eltern im Februar 1995 in Merzig geboren. Sein Vater ist im Alter von 17 Jahren während des Bürgerkriegs nach Deutschland geflohen. Die Mutter war zu dieser Zeit noch ein Kind und beide haben sich später im Saarland kennen und lieben gelernt. Hassan ist im Besitz der deutschen als auch der libanesischen Staatsbürgerschaft. Im Davis-Cup tritt er für den Libanon an. Auf der ATP-Tour war er jedoch immer unter deutscher Flagge aktiv. Dies hat sich im Laufe dieser Saison geändert.
Wie es dazu kam und wie er das kuriose Match in Bosnien-Herzegowina empfand, haben wir mit dem 27-jährigen am Rande des Internationeaux de Toulouse ATP-Challenger besprochen. In Südfrankreich haben wir uns mit ihm zum Interview getroffen.
Stopover in 🇫🇷
Bonjour, Toulouse 👋#TravelTheTour #InternationeauxDeToulouse pic.twitter.com/6IZt0VsRIm
— Florian Heer (@Florian_Heer) August 28, 2022
Tennis TourTalk: Hallo, Benjamin. Wie sind deine ersten Eindrücke vom neuen Challenger in Toulouse?
Benjamin Hassan: Ich bin zum ersten Mal hier und nachts angekommen. Eigentlich hätte ich in der Qualifikation antreten sollen, bin aber zufällig ins Hauptfeld gekommen, da noch einige Spieler zurückgezogen haben. Ich bin froh nicht sofort heute antreten zu müssen. Die Plätze sehen sehr gut aus und das Wetter ist schön.
Trotz der gleichzeitig ausgetragenen Qualifikation zu den US-Open finden sich in dieser Saison viele Challenger-Turniere im Kalender. Das ist wohl durchaus ein Vorteil für Spieler, die den Sprung in das Grand-Slam Feld nicht geschafft haben?
Für mich trifft dies auf jeden Fall zu, da ich mich in der Position befinde in der Qualifikation oben gesetzt zu sein, aber nicht immer direkt in die Hauptfelder hineinkomme. In der vergangenen Woche in Banja Luka hatte ich allerdings vergessen für das Main Draw zu melden und musste durch die Quali gehen.
Und dort kam es in der ersten Runde des Hauptfeldes zu einem besonderen Match gegen Lucas Miedler. Kannst du nochmal aus deiner Sicht erzählen, was dort passiert ist.
Ich habe das gar nicht richtig realisiert (lacht). Es war ein schweres Match. Ich habe nicht gut gespielt und Lucas hat es mir schwer gemacht. Es waren ein paar Unforced Errors zu viel und ich habe den ersten Satz mit 4-6 verloren und lag mit 1-5 im zweiten Durchgang zurück. Ich bin aber trotzdem drangeblieben und habe mit dieser „Alles-Egal-Einstellung“ gespielt. Ich habe mir gesagt „hack nochmal drauf“ und dann habe ich auch direkt ein paar Dinger getroffen. Um 12 Matchbälle abzuwehren, gehört natürlich auch eine gute Portion Glück dazu. Man muss nur einen Ball mit dem Rahmen treffen und schon kann es das gewesen sein und man hat verloren. Es lag aber auch ein wenig an der Einstellung trotz des Rückstandes nicht aufzugeben.
Hast du im Match realisiert, wie viele Matchbälle du abgewehrt hattest?
Ich habe direkt nach dem Match mit einem Spieler gesprochen, der mich gefragt hatte, ob ich Matchbälle abwehren musste und ich sagte: „Ja, so ungefähr fünf.“ Ich habe erst später erfahren, dass es 12 waren. Von so einer Anzahl hatte ich auch noch nie vorher gehört. Dazu kam, wie ich die Punkte gespielt habe: einmal Serve-and-Volley, ein Passing-Shot mit Mittelgriff kurz-cross. Da waren einige Dinger dabei. Das ist Glück, aber so ist Tennis und für mich war es gut.
The impossible comeback is completed. Hassan saves 12 match points to beat Miedler 4-6 7-6 6-4.
Here are all of them compiled, including a 30-shot rally on the 9th and an incredible running pass on the 12th (sorry for the loading in one of them, stream error)
📷: @ATPChallenger https://t.co/yPxkFRSG4a pic.twitter.com/W19PFzfqNL— Damian Kust (@damiankust) August 23, 2022
Mehr als die Hälfte der Saison liegt hinter uns. Wie fällt dein Fazit bis hierhin aus?
Sehr gut, da ich vor allem im vergangenen Jahr ein kurzes Tief hatte. Ich stand auf Position 500 und habe viel gezweifelt, ob ich das noch mitmachen möchte. Ich bin aber drangeblieben und habe mir auch einen Mental-Coach genommen, da ich viele Begegnungen abgeschenkt hatte. Ich wollte aber nochmal angreifen und seitdem läuft es sehr gut.
Wie genau läuft die Kommunikation zwischen euch ab?
Wir haben immer Kontakt, wenn ich spiele. Er verfolgt die Matches über den Live-Stream und kann es daran analysieren. Allerdings ist das nicht ganz einfach, da man meine Mimik nicht erkennen kann. Lediglich die Körpersprache ist nachvollziehbar. In Trainingsphasen sehen wir uns dann aber und es hilft mir sehr. Ansonsten trainiere ich weiterhin bei Dominik Meffert, der gerade mit Tim Pütz bei den US-Open ist.
Was sich allerdings verändert hat, ist die Nationalität, für die du antrittst. Warum spielst du jetzt für den Libanon?
Ich habe nicht gewechselt. Das wurde von der ATP einfach geändert. Ich bin nie aktiv auf sie zugegangen und habe gesagt, dass ich gerne die Flagge ändern würde, unter der ich antreten möchte. Ich habe beide Staatsbürgerschaften und meines Wissens dürfen sie das ohne meine Zustimmung auch nicht. Ein Kumpel, Johannes Haerteis, hat mich erst nach einem Anruf darauf aufmerksam gemacht. Ich wusste davon nichts. Nach dem Davis-Cup mit dem Libanon werde ich versuchen Klarheit in die Sache zu bringen und wahrscheinlich auch wieder für Deutschland spielen.
Wie ist deine aktuelle Situation? Was können wir noch von dir erwarten?
Mir geht es immer darum Spaß am Sport und auf der Tour zu haben. Gerade bin ich jedoch in einer Phase, in der ich auch auf das Ranking und die Punkte schaue. Ich brauche noch ca. 40 oder 50 Punkte, um in der Qualifikation zu den Australian Open dabei zu sein. Grand-Slam Quali zu spielen ist immer noch ein Traum, den ich mir erfüllen möchte. Ich versuche das aber entspannt anzugehen, ohne zu viel Druck aufzubauen.
Es gibt einige Stimmen, die sagen, der Benjamin Hassan ist so ein talentierter Tennisspieler, hat aber nicht das letzte aus sich herausgekitzelt. Was würdest du darauf entgegnen?
Wahrscheinlich haben diese Leute recht. Früher habe ich doch sehr viel liegen lassen. Ich kann allerdings sagen, dass ich heute sehr viel dafür tue. Ich trainiere täglich, auch mit vielen Konditionseinheiten. Ich investiere körperlich als auch finanziell in den Sport. Den Jugendbereich habe ich jedoch komplett schleifen lassen. Erst mit 21 kam die große Lust auf Tennis.
Woran hat das gelegen?
Da war bestimmt auch Faulheit dabei. Außerdem wollte ich gar kein Tennisprofi werden. Ich habe ganz normal mein Abitur gemacht und angefangen Englisch und Sport auf Lehramt zu studieren. Dann kamen die ersten Koblenz Open, wofür ich eine Wild-Card erhalten habe und gegen Teymuraz Gabashvili, der damals um die 100 in der Weltrangliste platziert war, knapp in drei Sätzen verloren. Im ersten Satz habe ich ihn vernascht, war allerdings körperlich nicht fit genug. Da habe ich gemerkt, dass ich ohne Training gar nicht so weit weg bin. Was passiert also, wenn ich anfangen würde, richtig Gas zu geben? Das habe ich auch in der Folge gemacht, die Uni abgebrochen und mich auf Tennis konzentriert. Dann ging alles recht schnell. Ich habe ein paar Futures gespielt und kam unter die Top 500. Jetzt bin ich in einer Phase, wo ich mich auf Position 300 etwas festgefahren haben, auch durch Corona, aber ich bleibe positiv.
Du hast den finanziellen Aspekt bereits kurz erwähnt. Viele Spieler in diesen Sphären der Weltrangliste müssen ihre Profikarriere irgendwann beenden, da sie es sich schlichtweg nicht mehr leisten können. Wie war das bei dir? Hast du in dieser Hinsicht Unterstützung erfahren?
Mit einem persönlichen Sponsor hat es leider nie geklappt. Ich habe es versucht, viele Leute angeschrieben, aber da brauchst du eine Menge Glück und einen tennisverrückten Millionär, der dich wirklich gernhat. Ich mache das aber, wie viele andere deutsche Spieler über die Bundesliga. Mit den Matches, die wir dort absolvieren finanzieren wir uns mehr oder weniger die gesamte Saison. Ohne dieses Einkommen könnte ein Großteil der Spieler außerhalb der Top 150 nicht mehr spielen. In diesem Jahr wollte ich mich allerdings auf die Tour konzentrieren. Wenn man bei den Turnieren gut abschneidet, erhält man schließlich auch ein Preisgeld.
Wie sieht dein weiterer Fahrplan für die kommenden Wochen aus?
Nach Toulouse möchte ich gerne in Tulln spielen. Da war ich bereits im vergangenen Jahr und es hat mir prima gefallen. Dann kommt der Davis-Cup gegen Monaco im Libanon, gefolgt von der Vorbereitung auf die Hartplatzsaison.
Hier in Toulouse geht es zum Auftakt gegen Alexandre Muller. Kennt ihr euch?
Ja, wir haben schon zweimal gegeneinander gespielt. 2018 habe ich in Amerika gegen ihn mit sechs Matchbällen verloren. Das kann ich auch (lacht). Vor zwei Monaten konnte ich in Prostejov allerdings gewinnen.
Dann viel Erfolg und besten Dank für das interessante Gespräch.